Nimri

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Nimri war zum Glück gar nicht so weit entfernt von Dorstein wie Erdhawyrst von Dorstein oder Yenur, die Ruinenstadt. Das einzige, was sie umrunden mussten, waren die Geisterhügel, welche als Ergebnis des ersten Wanurim'schen Krieges entstanden waren. Verheert durch die furchtbaren Waffen der Wanurim waren die einstmals fruchtbaren Hügel nur noch braun-schwarze verbrannte Erde, in denen sich im wahrsten Sinne die Geister der beiden Kriege tummelten.

Freyrín und Gavín hatten ein einziges Mal an der Grenze der braunen Grasnarbe genächtigt. Das Heulen und Klagen der Geister, gepaart mit dem Gleißen und Tosen ungebundener Magie, sorgte bei beiden für schlaflose Nächte, Freyrín sprach sogar einige Schutzzauber der Druiden. Ob sie deswegen keinen Besuch von wilder Magie, ungebetenen Gästen, Dämonen oder Insekten hatten - nicht einmal die obligatorischen Feuerschmetterlinge hüpften über ihr kleines Feuer - oder ob es an der Nähe und der erstaunlich klaren Abgrenzung der Geisterhügel lag, konnte Freyrín nicht beantworten; Gavín seinerseits hatte irgendwann die Vermutung gehabt, dass sie es auch gar nicht wollte. Ob es daran lag, dass sie das Wissen darüber hatte oder erst die Geisterhügel hätte erforschen müssen, wusste er nicht und fragte auch nicht nach.

In dieser Nacht hatten sie ihren Wagen neben einem schmalen Bach abgestellt, wo Jorga saufen konnte. Der Bach floss Richtung Smaragdstrom, wo er dann irgendwann in das Gewässer um das Hochmond-Archipel der Hochelben fließen würde. Gavín war versucht, einen Korken hineinzugeben, bis ihm bewusst wurde, dass er den Korken nie wiederfinden würde, geschweige denn würde er wissen, wie lange der Korken gebraucht hatte, um zu den Hochelben zu gelangen.

Außerdem würde Mutter sicherlich mit ihm schimpfen, wenn er einfach so einen guten Korken  in den Bach werfen würde nur für ein unsinniges Experiment verschwendete. Ein kaputter Korken wäre da besser geeignet, aber sie besaßen keine kaputten Korken, da sie gerade erst ausgestattet worden waren. Glücklicherweise, so konnten sie ihr Brot mit etwas Käse und getrocknetem Schinken essen.

"Fahren wir auch zu den Sonnenelben?", fragte Gavín irgendwann nachdenklich, als es auf die Schlafenszeit zuging.

"Nicht in nächster Zeit, aber wir werden sehen, was die Zukunft bringt."

"Hm." Gavín schaute abwesend in die Glut, die nur noch wenige kleine Flämmchen entließ.

"Warum fragst du? Hat dich der Sonnenelb so beeindruckt?"

Gavín hörte die warme Belustigung in ihren Worten, aber die Wahrheit war eben genau das: die Sonnenelben hatten es Gavín angetan. Er wusste, dass es noch mehr Elben gab, aber dieser eine war so freundlich und ansehnlich gewesen, dass Gavín gerne mehr über sie erfahren wollen würde, lieber früher als später.

Aber so, wie es gerade aussah, würde es eher später werden. Selbst die Glut erlosch beinahe, als Gavín neues Feuerholz hineinlegte und sanft blies, damit die winzigen Flämmchen sich an das Holz klammern konnten, wo sie es fraßen und fraßen, dabei Wärme erzeugten, welche die Menschen nicht frieren ließ.

Seltsam romantisch, fiel ihm auf, auch, wenn er mit seinen kaum siebzehn Jahren nicht so richtig wusste, was Romantik eigentlich war. Frauen träumten gerne davon, besonders in weiten Kleidern und Rosen auf dem Boden - kam davon das Wort Romantik, von den Rosen? - mit Wein und einem Kaminfeuer, vielleicht auch einem Schiff auf hoher See. Jedenfalls hatte er das so gehört und teilweise gelesen.

Er legte sich auf seine weiche Decke, rollte das Kopfende etwas auf, um ein schmales Kissen zu haben und schaute hoch in die Sterne, welche am Himmel blinkten. Der Kaufmann blickte auf sie hinab, als würde er ihren Wert schätzen, aber am Morgen würde er verschwunden sein, ohne sein Werk verrichtet zu haben.

Gefolgt wurde er von der Sirene, welche ihr Gesicht dem Kaufmann zuwandte, als wolle sie ihn ertränken im Meer der Sterne. Sirenen hatte Gavín bereits auf Bildern gesehen, wie sie harmlose Schiffe angriffen und sie versenkten, einen Matrosen nach dem anderen in die Tiefe zerrten. Was aus den Gütern, dem Gold und dem Rest des Schiffs wurde, konnte sich der Junge nur ausmalen. Aber sie waren schön, diese Sirenen. Nicht so schön wie seine Mutter, seine Schwester, Lanialellara, aber schön auf eine Art, die man nur als grausam bezeichnen konnte. Er hoffte, sie einmal zu sehen von ganz weit weg.

Mit der Figur des Engels an seiner Seite schlief er ein, träumte von dunklen Räumen, einem verwirrt aussehenden Mann und hörte leises Weinen. Als er aufwachte, färbte die Sonne den Horizont bereits rosa und er wischte sich rasch die Tränen von den Wangen, bevor seine Mutter ihn so erblicken konnte. Er schämte sich seiner Trauer nicht, aber er wusste auch nicht, weswegen er geweint hatte, so konnte er ihr auch nicht erklären, warum er geweint hatte.

War es überhaupt seine Trauer gewesen? Es fühlte sich nicht so an. Eher... einsam. Der verwirrte Mann hatte ihn einfach nur verwirrt angeschaut mit Augen von der Tiefe eines Gebirgssees, aber ohne dass er ihn erkannt hätte.

"Seltsam." Gavín rollte seine Decke zusammen und sah Freyrín hinter dem Wagen hervorkommen, ein Bündel Kräuter in der Hand, welche mal Tee werden sollten. Sie sah erfrischt aus, als hätte sie so viel tiefer geschlafen als Gavín.

"Morgen!", flötete sie. "Gut geschlafen?"

"Geht so." Gavín ging sich etwas abseits erleichtern und half dann dabei, das Feuer erneut in Gang zu bringen und somit den Tee und das Frühstück zu bereiten.

"Dieser Engel hat es dir angetan, hu?" Freyrín begutachtete die Figur aus der Nähe. "Ich finde es faszinierend, ehrlich gesagt, wie sich ihre Gestalt nie ändert. Jedes Gesicht ist gleich, die Partie ihrer Augen oder ihres Mundes. Nur ihre Kleidung und manchmal die Größe ihrer Flügel."

"Was meinst du damit?" Gavín schaute ihre Finger an, welche die Konturen des Engels nachzogen, als würde sie wie eine Blinde mit den Fingern sehen.

"Ich meine, wir haben doch die große Statue auf dem Tempel gesehen. Die Fresken, die anderen Statuen, hier deine kleine Figur, in einem Geschäft die Bilder. Jeder Künstler hat irgendwie das gleiche Bild vor Augen, es gibt keine Variation..." Ihre Stimme erstarb, als sie Lanialellara - der Figur - in die Augen schaute und dann den Kopf schüttelte.

"Das ist idiotisch.", murmelte sie und gab Gavín die kleine Figur zurück. "Wenn es das ist, was ich denke, dann bleibt die Anwesenheit des Engels und somit auch ihr Gesicht. Als würde etwas dafür sorgen, dass man sie nicht vergisst."

"Und was, wenn es so ist?" Gavín schmunzelte. "Ich meine, Lithrodil existierte ja auch, wir vergessen es auch nicht."

"Dann..." Freyrín dachte lange nach und seufzte. "Ich weiß es nicht, Gavín. Ich bin nur eine Druidin. Aber vielleicht findest du ja eine Antwort, wer weiß?"

"Wieso denn ich?"

"Warum denn nicht du? Du bist doch mein schlauer Junge, oder?"

"Möglich?" Gavín ließ es wie eine Frage klingen. "Ich würde nur gerne mehr erfahren und nicht unbedingt in Geheimnisse blicken, die selbst Gelehrte nicht gelöst bekommen."

"Auch wieder wahr. Siehst du, auch das ist es, schlau zu sein."

Als die Sonne dann fast vollständig aus ihrem Bett gekrochen war, schirrten sie Jorga wieder an und setzten ihren Weg fort. Nimri war kaum noch zwei Tagesreisen entfernt und somit auch sein Vater und die Kräutergärten. Neben den zwei Kunstgalerien und einem vergleichsweise kleinen Tempel der Sechs mit Bildern von Lanialellara, den er auch erneut würde besuchen wollen.

Für die Figur bastelte er sich gerade eine Art Holster, in die er sie stecken würde, damit er sie um den Hals tragen konnte. Etwas groß vielleicht, aber einen besseren Platz hatte er nicht und im Wagen konnte er sie nicht verstauen, sie brauchten jeden Quadratzentimeter, den sie kriegen konnten.

"Du bräuchtest vielleicht einen Anhänger, so wie ich." Freyrín hatte ihn beobachtet, wie er aus den Lederschnüren das Holster fertigte. "Aber du machst das gut. Das habe ich dir nicht beigebracht."

"Nein, ich habe nur zugeschaut, wie du Arme verbindest und festbindest." Gavín hob das Geflecht hoch und zeigte ihr eine Querschnur. "Siehst du? Damit ziehst du den Arm unbeweglich; ich binde damit die Figur fest. Sie sollte daher nicht herausfallen. Hoffe ich jedenfalls."

"Sieht gut aus. Haben sich die Jahre doch gelohnt."

Gavín schnaubte, versenkte sich wieder in die Schnüre. Manchmal wollte er eben nicht, dass jemand anderes als er recht hatte. Besonders, wenn sie es verdient hatten, recht gehabt zu haben.

Er versuchte es sich abzugewöhnen, denn es war wohl nicht ganz angenehm für andere und manchmal fühlte er sich damit auch nicht wohl.

"Erinnerst du dich noch an das Rezept für die beschleunigte Heilung und gegen Entzündungen?", fragte plötzlich Freyrín wie aus dem Nichts heraus, ihre grün-blauen Augen funkelten belustigt.

"Kupferampfer, etwas Nesseln, Lavendel, blauen Mohn und Hohlwurzel. Alles zerkleinern, in kochendes Salzwasser werfen, eine Stunde köcheln lassen, auswringen, Goldlilien hinzufügen, erneut aufkochen, auskühlen lassen.", betete Gavín das Rezept herunter ohne großartig nachdenken zu müssen.

Freyrín nickte mit einem zufriedenen Lächeln, sagte darauf nichts mehr, bat Gavín aber irgendwann, ihnen verdünnten Met zu holen.

In der Ferne sahen sie bereits die Grabhügel und Türme von Nimri, teilweise schon wieder schwer befestigt, andere schwer beschädigt oder immer noch zerstört und daher im Abbau begriffen. Am nächsten Morgen würden sie die Stadttore erreichen und taten es auch.

Es gab eigentlich keine richtigen Tore, es waren nur Holzbalken, die mit einem Seilzug und Muskelkraft bewegt wurden, nachdem die Wanurim in ihrem zweiten Krieg nun auch Nimri als Basis benutzt hatten, um über die Geisterhügel nach Dorstein zu marschieren. Das hatte sowohl die wenige Verteidigung als auch die Tore hinweggefegt.

"Sieht ja immer noch so schlimm aus.", befand Gavín, seine Mutter sagte nichts dazu. Sie brauchte auch nicht viel dazu sagen, die anfänglichen Häuser, meistens Wohnhäuser und Backstuben, hatten einiges abbekommen; große Löcher klafften in den Wänden, schwarze Brandspuren zogen sich wie die Hinterlassenschaften von Drachenfeuer über die Backsteine. Alles, was irgendwie aus Holz bestand, war weggebrannt, zumindest in den äußeren Bereichen.

"Oh, da gibt es frisches Brot." Freyrín hielt an einem Wagen an, der Brot verkaufte, offenbar war der Verkaufsbereich im Haus nicht groß genug. Sie erstand für ein paar Kupferdeut - nicht zu verwechseln mit Kupferjot - zwei Laib Brot, eines davon ein noch dampfendes Krustenbrot.

"Für heute Mittag?", fragte Gavín, als er es in ein frisches Leinentuch einhüllte.

"Ja, dein Vater wird sicher auch hungrig sein." Freyrín nahm die Zügel wieder, ließ den Wagen durch die teilweise zerstörten Straßen und Gassen fahren, bis sie an ein hellrotes Haus kamen, über dessen niedrigem Türsturz in mittlerweile abblätternden Buchstaben einfach nur das Wort "Darion" stand. Ein guter Name und ein einfacher Weg, sowohl die Praxis als auch den Namen des Arztes zu nennen.

"Klopf! Klopf!", rief Freyrín und dirigierte Jorga mitsamt Wagen in die schmale Gasse, welche als Lagerplatz diente.

"AU!", hörte man von innerhalb des kleinen Hauses und es war nicht Darion, der den Schmerzenslaut von sich gegeben hatte.

Gavín lachte leise und verkniff es sich, als seine Mutter ihn böse anschaute, gespielt oder nicht.

"Verzeihung!", rief sie hinein, gab Jorga zwei Äpfel zu fressen und stellte ihm einen großen Eimer Wasser vor die Schnauze, was den Kaltblüter nur mäßig interessierte, die Äpfel waren interessanter.

"Kommt nicht rein!" Die angenehm tiefe Stimme seines Vaters drang durch das offene Fenster, wieder ein Schmerzensschrei und etwas, dass sich wie nasses Papier anhörte. "Ich bin gleich fertig!"

"Das sieht aber nicht so AU!"

"Verzeihung."

Freyrín lachte, klopfte Jorga auf die Flanke, was das große Pferd mit einem Schnauben quittierte und holte für sich und Gavín verdünnten Met. Der Junge wollte lieber sofort los, in die Gärten schauen und dann den Tempel der Sechs besuchen, aber er wusste, dass es seine Mutter nicht gutheißen würde, wenn er nicht wenigstens ein paar Minuten bleiben würde.

Aus den Minuten, die sie warteten, wurden fast zwei Stunden, was Freyrín dazu veranlasste, Gavín auf den Markt zu schicken und sich selbst um den Wagen zu kümmern.

Was den Jungen bei weitem nicht störte. Seine Einkäufe waren auch nur ein paar Eier und etwas Gemüse, also nichts, was ihm den Arm erlahmen würde und auch nichts, was besonders wertvoll wäre. Aber halt, Diebe brauchten manchmal einfach nichts wertvolles, sondern nur etwas zu essen und so hetzte Gavín nun in einem großen Kreis durch die Stadt, verfolgt von drei Halunken, die es auf ihn, seinen Weidenkorb und vermutlich auch sein Leben abgesehen hatten.

Die Stadtwachen schienen gerade nicht in der Nähe zu sein, also tat Gavín das einzig richtige: er warf ein Pülverchen in die Luft, welches er aus Hagebutten und Pfeffer hergestellt hatte. Die Wirkung war wie erhofft: die Halunken rannten hinein und fingen an zu husten und sich zu kratzen. Falls das Pulver in die Augen kam, dann würden sie sogar für eine Weile blind und heulend durch die Gegend laufen.

Nur bei einem wirkte es nicht wie erhofft. Oder es schien ihm egal zu sein, denn er kam heulend, mit tränenüberströmten Gericht in die schmale Gasse gerannt, in der sich Gavín versteckte und fand ihn recht schnell. Das Messer, welches eigentlich nur den Korb abtrennen sollte, schnitt durch Stoff und Haut, schrammte über seinen Brustkorb.

Gavín schrie auf, trat dem großen Mann unehrenhaft zwischen die Beine und rannte. Ob es jetzt ehrenhaft war oder nicht, es wirkte, der Mann krümmte sich am Boden und jammerte. Das war Gavín nur recht, genau wie die liebevolle Fürsorge seiner Mutter und die Warnung, demnächst vorsichtiger zu sein, Blut bekäme man so schwer aus Stoff heraus.

"Da hast du Glück gehabt.", murmelte sein Vater, als er ihm die offene Wunde zunähte. Der Mann mit den kurzen, dunkelbraunen Haaren schaute ernst drein, als er seinen Sohn nähte, was normalerweise recht schwierig war, hatte Gavín sich sagen lassen, wegen der familiären Nähe oder etwas in der Art. "Wirklich viel Glück. Mit was hast du ihn erwischt?"

"Meinem Juckpulver.", presste Gavín zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. "Ich hoffe, ihnen juckt es überall."

"Das hoffe ich auch, aber das nächste Mal rennst du lieber weiter oder zu einer Wache, selbst wenn gerade keine in der Nähe ist. Ah! Keine Widerworte!", warnte Darion, als Gavín protestierend den Mund öffnete. "Ich will meinen Sohn noch etwas länger behalten."

"Ich auch!", rief Freyrín dazwischen, das Klappern des Mörsers untermalte ihre Worte, als sie die milde Heilpaste zusammenmischte, die sie für Gavíns Wunde brauchte. Auch diese brannte wie Feuer am Anfang, beruhigte sich aber nach einer Weile und hinterließ nur eine nasse Wärme, die von den Kräutern herrührte.

"So, viel besser." Darion verband Gavín mit frischen Bandagen, half ihm dann von der Liege. Der andere Patient, den sie gehört hatten, war längst gegangen, mit deutlich weniger Silberdeuts in der Tasche und weitaus mehr Betäubungsmitteln im Blut und in der Hand. "Lass das aber nicht zur Gewohnheit werden. Irgendwann kommt jemand, der sich nicht von deinem Pfefferpulver abhalten lässt."

"Dann habe ich etwas stärkeres.", grinste Gavín, hörte aber sofort wieder auf, als er den Blick seines Vaters sah. "Verzeih, ich werde es mir merken."

"Gut." Darion schaute Freyrín an, die nur ein warmes Lächeln zur Schau trug, schmale Falten bildeten sich um Augen und ihre Mundwinkel. "Was?"

"Nichts. Ich liebe dich."

"Ich weiß." Er grinste. "Ich dich viel mehr."

"Lügner." Freyrín warf ihm das Krustenbrot im Leinentuch entgegen. "Du bist dran mit kochen."

"Ja, Frau.", lachte der Messerarzt und bald hatten sie einen schmackhaften Eintopf in dem Brot, welcher ähnlich gut war wie der seiner Mutter. Gavín bedankte sich artig, schickte ein kurzes Gebet an die Sechs und zeigte seinem Vater nach der Speisung die Figur von Lanialellara. Er war stolz auf das kleine Figürchen, welches in dem Holster steckte und auch Darion war beeindruckt und sagte, er bräuchte eher so etwas wie einen Talisman, damit er die Figur irgendwohin stellen konnte.

"Ich könnte mir auch einfach zwei Flügel schnitzen." Gavín legte den Löffel beiseite, mit dem er seine Nachspeise gegessen hatte.

"Würde nicht allzu lange halten." Freyrín hatte heißen Tee in einem Becher in den Händen, sah zufrieden aus. "Aber es wäre ein Anfang. Vielleicht findest du ja auch einen Schmied, der dir einen kleinen Anhänger schmiedet. Haltbar muss es sein, nicht sonderlich hübsch, oder?"

"Haltbar..." Gavín dachte nach. Er wollte zur Universität. Hatte Sillana nicht erzählt, dass sie auch manchmal raus musste, in alte Ruinen? Wenn er stolperte und auf den Anhänger fiele, dann würde Holz recht schnell zerbrechen, aber gutes Eisen würde sich wahrscheinlich nicht einmal verbiegen.

"Du kannst mal Trogh fragen, vielleicht lässt er dich sogar für deinen Anhänger arbeiten, dann musst du nur mit Zeit und Muskelkraft bezahlen."

"Oh, das mache ich!", rief Gavín aus, schaute seine Mutter an. "Darf ich?"

"Dass du mir zum Abendessen zuhause bist!" Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange. "Ab mit dir."

"Danke!"

Gavín war noch nie so schnell aus der Tür gewesen und selten so erfreut. Trogh war da, man hörte ihn bereits quer über die Straße hämmern.

"Was?", fuhr der Mann auf, der aussah, als würde er einfach durch Türen hindurchgehen anstatt sie zuerst zu öffnen. Oder Burgtore, wenn man schon einmal dabei war. "Einen Anhänger von Lanialellara? Das dürfen eigentlich nur Schmiede, die dafür angestellt werden. Eine heilige Sache, weißt du. Ich hab mehr als genug zu tun, um die Aufträge der Stadt zu bearbeiten, da werde ich kaum Zeit haben!"

"Bitte! Ich arbeite auch dafür!"

Der Schmied seufzte, ein abgrundtiefes Geräusch wie ein wütender Bär. "Was hat die Jugend eigentlich im Kopf, dass sie kein Nein akzeptieren kann? - Nun gut. Eine Woche fegst du mir die Schmiede, beschickst die Esse, säuberst meine Werkzeuge und sortierst sie. Ich zeige dir einmal wie, danach nie wieder, verstanden?"

"Ja, wann soll ich anfangen?"

"Morgen früh beim ersten Sonnenaufgang. Und zieh dir ordentliche Schuhe an, nicht, dass du in etwas trittst oder dir Glut auf die Füße fällt."

"Ja, Meister! Vielen Dank, Meister!"

"Trogh reicht wirklich.", brummte der Mann und ließ seinen Hammer erneut auf das glühende Werkstück niedersausen.

 

 

Gavín war früh am Morgen vor der Schmiede, sogar früher als Trogh wach war. Der Junge hatte seinen Eltern Tee gekocht, sich gewaschen und seine bereits getragenen Lederschuhe angezogen. Nicht, dass er viele Paare hatte, es waren nur zwei: ein gutes Paar für eventuelle Einladungen - das war schon vorgekommen - und eines, welches er ständig trug und nun auch.

"Du bist aber früh dran.", grunzte Trogh, als Gavín an der Tür klopfte und einen zerzausten Schmied vor sich hatte, nur in einem Nachthemd, welches an den Nähten zu platzen drohte. "Geh zur Schmiede, nimm dir den Besen und fege den Boden. Da ist rechts an der Seite ein Eimer, da hinein. Ich komme gleich nach."

"Ja, Meister!" Gavín verneigte sich unter dem genervten Stöhnen des Schmieds und huschte Richtung der kalten Schmiede. Er vergeudete keine Zeit damit, die Esse neu zu beschicken, sondern griff nach dem etwas zerzaust aussehenden Besen und fand auch den zerbeulten Eimer nahezu sofort. Erstaunlicherweise war die Schmiede sehr ordentlich, es gab - abgesehen von Asche und einigen Kohlestücken - kaum Überreste der Werkstücke, nicht einmal Eisenspäne, die vielleicht bei der Arbeit abgefallen waren. Ob Trogh am Abend noch die Schmiede säuberte, um für den nächsten Tag gerüstet zu sein?

Wie auch immer, Gavín tat sein Bestes und als der Schmied den Raum betrat, war er nahezu fertig, was der Mann mit einem Grunzen zur Kenntnis nahm, bevor er die Esse in Gang brachte.

Erstaunlicherweise war die Arbeit in der Schmiede recht ereignislos. Hin und wieder kam ein Kunde, der eine Bestellung abholen oder aufgeben wollte. Je nachdem war Trogh gelaunt, denn mehr Aufträge bedeutete mehr Geld, aber momentan hatten die städtischen Aufträge höchste Priorität. Aktuell waren es vor allem Nägel, Hufeisen, Haken und andere, weniger aufwändige Arbeiten.

Aber das war nicht alles. Gavín fand auch Ketten, Schwerter und Keulen.

"Ihr schmiedet auch Waffen?", fragte Gavín irgendwann, als beide ihre Brotzeit draußen vor der Schmiede einnahmen.

"Manchmal, ja." Trogh schluckte seinen Bissen hinunter, spülte mit Wasser nach. "Früher mal mehr, das war eigentlich mein Hauptberuf. Aber nachdem die Wanurim uns überfallen hatten, braucht die Stadt alle Schmiede, um ihren Bedarf zu decken."

"Verdient es sich gut?"

"Eher nicht. Etwas besser als die normale Kundschaft, aber reich wird man davon nicht. Besonders nicht mit hunderten von Nägeln."

"Das wohl nicht." Gavín schaute die große Holzbox an, in der hunderte grobe Nägel durcheinander lagen. "Macht Ihr jeden Nagel einzeln?"

"Ha, wo denkst du hin?", lachte der Schmied. "Natürlich nicht. Ich mache das mit Formen, in denen zwanzig Nägel Platz haben. Ich kann es dir zeigen, wenn du es willst."

"Oh ja, bitte."

Über die gesamte Woche hinweg fegte Gavín die Schmiede, den Boden, holte die kalten Kohlen aus der Esse, beschickte sie neu, säuberte die Werkzeuge und Formen so gut es eben ging und hängte sie so auf, wie Trogh es haben wollte. Die Reihenfolge war denkbar einfach: nach Größe. Sein Meister hatte die Werkzeuge laut dem Schmied nach Einsatzzweck aufgehängt, was dem Gehirn von Trogh merklich wehgetan hatte, alles durcheinander zu sehen.

Er lernte einiges über Metall und Stahl, die Kohlenstoffzusammensetzung und wie man den Hammer schwingt, egal, ob das Werkstück groß oder klein war; ein Nagel oder ein Schwert. Sicherlich gab es da Unterschiede, aber die Basis verstand Gavín. Es machte ihm Spaß, aber ein Schmiedelehring wollte er nicht werden.

Am neunten Abend hielt Trogh ihn auf, nachdem er die Esse mit neuen Kohlen versorgt hatte.

"Du warst mir ein besserer Geselle als mein eigentlicher Geselle.", brummte der Mann, setzte sich auf einen Hocker, der protestierend knarzte.

"Aber Ihr habt keinen Gesellen.", wunderte sich Gavín. "Oder habe ich ihn übersehen?"

"Nein, ich habe ihn gefeuert, nachdem er Wasser in die Kohlen gegossen und die Schmiede für Tage lahmgelegt hat."

"Oh."

"Ja, oh. - Wie auch immer. Versprochen ist versprochen." Unter der ledernen Schürze zog Trogh an einer Lederschnur einen runden Anhänger aus Eisen hervor. Dieser war rund und so groß wie eine Goldmark. Innerhalb des Rings überkreuzten sich eine Feder und eine Getreideähre. Trogh hatte es so aussehen lassen, als würden beide in der Mitte miteinander verschmelzen.

Gavín machte große Augen und verneigte sich, als er den Anhänger entgegennehmen wollte, aber Trogh zog ihm die Lederschnur einfach über den Kopf und nickte beifällig. "Jetzt verschwinde. Solltest du wieder hier arbeiten wollen, bist du eingeladen."

"Danke, Meister!" Gavín sprang beinahe in die Höhe und lächelte breit, als er das kalte Eisen in seiner Hand fühlte. Schwer und so hart wie der Stein, auf dem er stand.

"Trogh reicht völlig.", brummte der Schmied, nahm den Hocker auf und wedelte mit der Hand. "Los, bestell Darion schöne Grüße."

"Ja, mache ich!"

Was Gavín auch tat und zeigte ihnen stolz seinen selbst erarbeiteten Anhänger, den er nun anstelle der Figur tragen konnte. Die Figur von Lanialellara fand nun ihren Platz in der Ecke neben seinem Kopfkissen im Wagen. Das Bett bezog seine Mutter, er hatte die wirklich schmale Schlafstatt am Ende des Wagens. Noch passte er hinein. Vielleicht war es auch so gewollt von den Sechs, dass er zur Universität ging. Dann hatte Freyrín wieder genug Platz und musste sich keine Sorgen darum machen, wann er seinen eigenen Wagen bräuchte.

Sein Vater hatte ihm das Messer geschärft, ihm gezeigt, wie man brandiges Fleisch entfernte - nur anhand von Zeichnungen, Patienten gab es gerade wenig - und wie man theoretisch einen Luftröhrenschnitt setzte. Wobei er auch dazu sagte, wenn er sich von Schlachtfeldern fernhielt, würde er es kaum brauchen. Außer, jemand verschluckte mehrere Wespen, die einen in der Kehle stachen.

Am nächsten Morgen machten sich Gavín mit seinen Eltern auf den Weg zum Tempel der Sechs. Als sie vor einem Jahr hier gewesen waren, wurde dieser gerade repariert von den Schäden, welche die Wanurim angerichtet hatten. Nun war der Tempel wieder für Gläubige und Priester gleichermaßen geöffnet, auch wenn noch einige Schäden zu sehen waren.

"Lauf nicht weg und fass nichts an, wenn es nicht sein muss.", wies sein Vater ihn an. Alle drei hatten sich klebriges Gebäck vor dem Tempel gekauft, welches mit Honig beschichtet und teilweise gefüllt war.

Es roch nach frisch geschlagenem Marmor und Farbe. Die Schüsse der Wanurim hatten die erste Reihe Säulen so stark beschädigt, dass eine Säule nach der anderen ersetzt werden musste. Dies schien nun abgeschlossen zu sein, denn die zweite Reihe der Säulen wurde nun ausgebessert und wieder frisch mit den Farben der Sechs bemalt.

Im Inneren des Tempels war es recht still, an den beiden Seitenwänden, ebenfalls mit Säulen versehen, ragten Gerüste in die Höhe, wo Fresken und Wandbilder ausgebessert oder erneuert werden musste. Maler saßen, knieten oder standen gebückt vor der Wand und bemühten sich um möglichst fehlerfreie Pinselstriche.

Wie auch im Tempel in Dorstein war hier der Engelsfall auf den Wänden zu sehen, nur der Altar war hier grundlegend anders.

Die Basis war leicht oval wie ein Ei. An den Rändern ragten die Körper der Sechs hervor, in all ihrer drachenhaften Pracht, sogar mit winzigen Schuppen so detailliert, als hätten die Künstler echte Drachen als Vorlagen gehabt. Keiner von ihnen war farbig, so wurde keinem von ihnen der Vorteil oder der Nachteil eingeräumt; daher strahlten sie im reinen Weiß des Marmors.

Alle sechs Drachen hatten die Flügel ausgebreitet, schirmten so den Besucher ab, dass er nicht auf die Plattform treten konnte. Nur direkt vor der Statue des Engels hatten sie Platz gemacht, sodass man auch die Füße der Engelsdame sehen konnte.

Eben jene Engelsdame stand überlebensgroß - wie groß war so ein Engel eigentlich? - in der Mitte des Ovals, ihr Gesicht dem Gläubigen zugeneigt mit einem Ausdruck, den Gavín entweder als "stolz", "hochnäsig" oder "überlegen" bezeichnen würde. Durch die Lücke, welche die Künstler zwischen den Flügeln der Sechs gelassen hatte, konnte man ihre perfekten Füße sehen, die unter dem Kleid hervorlugten.

Generell war Lanialellara der einzige Flecken Farbe in der eigentlich weißen Präsentation der Statuen. Ihre Flügel waren so schwarz angemalt, dass sie beinahe das Licht zu schlucken schienen, dabei irgendwie noch die Konturen der Federn aufwiesen. Ihre Haut war reiner Marmor, genau wie ihre Haare, aber ihr kurviger, wunderschöner Körper steckte in einem Kleid, welches keine großen Fragen offenließ, genauso schwarz war wie ihre Flügel und mit goldenen Nähten und kleinen Verzierungen versehen war. Diese waren wohl keine Farbe, sondern Blattgold.

Die Arme des Engels waren leicht nach unten ausgestreckt, die Hände einladend zu den Gläubigen geöffnet, als solle man den Kopf hineinlegen wie bei einer Mutter, die ihr Kind beruhigend möchte. Eine Einladung, die Gavín faszinierend fand. Gab es wirklich Leute, die Lanialellara ihren Kopf anstatt ihr Herz anvertrauen? Er würde ehrlich gesagt bei seiner Mutter bleiben.

Auf dem Boden vom Eingang bis zur Basis der Statuen waren schmale Linien auf den Marmor gemalt worden, welche die Gläubigen an ihre Plätze leiten sollte. Es gab keine Bänke oder Stühle, nur den harten Marmor, auf den sie sich knieten.

 

Oh ihr Drachen in der Luft
die ihr da seid in der schwarzen Kluft.
Seid unser Schwert,
Seid unser Schild,
Seid unser Licht,
seid das Feuer und die Wahrheit.
Behütet uns vor der Finsternis, 
auf dass wir nicht verführt werden.
Behütet und beschützt, denn wir gehören euch.
Beim Blut, beim Fleisch und beim Geiste.

 

 

Was Gavín sehr merkwürdig fand, war die Abwesenheit des Engels in dem Gedicht. Als hätte sie dafür gesorgt, dass sie nicht angebetet wurde, sondern die Drachen selbst. Er würde seine Eltern fragen oder einen der Priester. Was schneller ging als erwartet, denn sie waren eine der wenigen Gläubigen zur frühen Stunde, sodass Gavín keine Schwierigkeiten hatte, eine der Priesterinnen zu fragen.

Die Antwort war leider nicht sehr zufriedenstellend: Weil Lanialellara es so verfügt hatte. Das beantwortete aber nicht die eigentliche Frage nach dem Warum. Sie musste sich doch irgendetwas dabei gedacht haben. Leider konnte die Priesterin und der hinzugezogene Manifestar auch nicht mehr dazu sagen, da es angeblich keine weiteren Aufzeichnungen dazu gab. Und wenn es sie gab, dann lagen sie der Kirche nicht vor.

"Lasst uns etwas essen gehen, bevor ihr euch auf den Weg macht." Darion prüfte seine Geldkatze und nickte bestätigend. "Wir haben zwar kaum noch gute Gaststätten den Wanurim sei Dank, aber es gibt eine sehr gute öffentliche Küche."

"Ach, mittlerweile?" Freyrín hakte sich bei ihm ein, ihr Kleid raschelte über den trockenen Boden. "Die war doch schon eine Weile in Planung, oder?"

"Ja, die Farmer mussten erst Ressourcen reinstecken und die Stadt musste es genehmigen. Und sie brauchten Leute, damit die Küche überhaupt besetzt werden konnte."

"Was gibt es denn da zu essen?", fragte Gavín dazwischen. Er ging hinter ihnen, seine Eltern sahen sich viel zu selten, fand er. Er hätte auch kein Problem damit gehabt, sie allein zu lassen und selbst durch die Stadt zu laufen, aber auch er sah seinen Vater allzu selten und würde ihn sicherlich noch viel seltener sehen, falls alles funktionierte, wie es seine Mutter und er sich vorstellten.

Natürlich war sie nicht glücklich über seine Entscheidung. Sie sagte zwar, dass sie ihn unterstützte, wo sie nur konnte, aber Gavín hatte das Gefühl, dass sie seltsam enttäuscht darüber war, dass er nicht weiter dem Beruf des Druiden nachgehen wollte. Nicht, dass er es schlecht fand, es war sogar erstaunlich hilfreich und vielfach konnte er sogar mit den Pflanzen auf irgendeine Weise kommunizieren, aber er wollte mehr über das Land und seine Geschichte erfahren. Über Lanialellara, die Sechs und die Kirche. Die Wanurim und auch über die anderen Völker, soweit sie es zuließen.

Seine Eltern hielten sich die meiste Zeit an den Händen, soweit es der Verkehr auf der Straße zuließ. Aus allen Ecken hörte man das Gehämmer der Handwerker und gerufene Anweisungen; Sägen kreischten ihr Lied, manche mit Wasser betrieben, andere mit der Hand.

"Ich weiß es nicht, der Frühling ist gerade erst vorbei." Darion drehte sich halb zu Gavín um. "Beim letzten Mal gab es Grünkohl mit grober Wurst, vielleicht gibt es das jetzt auch."

"Oh ja, lecker." Freyrín kicherte. "Gut, Wurst muss nicht sein, aber gut gekochter Grünkohl, heiß und frisch, das würde ich nehmen."

"Dachte ich mir.", lachte ihr Mann, küsste sie auf die Stirn. Gavín roch die Küche eher als dass er sie sah und war froh darüber, dass es nicht nur Grünkohl mit Wurst gab. Es gab auch frischen Eintopf im Brot, was sie kaum mehr kostete als Grünkohl mit Wurst. Dazu bekam er kalte Ziegenmilch, während seine Eltern Met und dünnes Bier gereicht bekamen.

Gegessen wurde fast schweigend. Freyrín bat Gavín um ein paar Worte und er sprach den gewünschten Segen über ihre Speisen. Hoffentlich hatte dieser Segen auch die gleiche Wirkung wie wenn seine Mutter ihn gesprochen hätte.

Sie speisten, jeder hing seinen eigenen Gedanken nach, während Gavín den Anhänger auf seiner Brust mit dem Finger nachfuhr. Eine gute Arbeit von Trogh, keine Grate, keine scharfen Kanten, keine Splitter. Wann hatte er den Anhänger geschmiedet? Gavín war doch immer früh in der Schmiede gewesen und war dann spät gegangen. War Trogh mitten in der Nacht aufgestanden, um diesen Anhänger für ihn zu machen?

"Glücklich?", fragte ihn sein Vater unvermittelt und Gavín schaute ihn an, als hätte er ihn gefragt, ob er eine Frucht kennen würde, die aus dem Süden käme und Spiele spielen würde.

"Bitte?"

"Ob du glücklich mit dem Anhänger bist." Darion deutete auf den Anhänger, den Gavín gerade in der Hand hatte.

"Oh ja, die Woche Arbeit hat sich auf jeden Fall gelohnt.", grinste der angehende Druide breit. "Wisst ihr, warum eine Feder und eine Ähre?"

"Die Feder ist klar." Darion schluckte seinen Bissen hinunter, spülte mit dem dünnen Bier nach. Selbst aus der Entfernung roch es Gavín und es kam ihm eher wie ein Bier für Kinder vor. "Die Ähre soll symbolisieren, dass Lanialellara für die Fruchtbarkeit des Bodens mitverantwortlich war und so die Ernten besser ausfielen in ihrer Zeit der Herrschaft. Und teilweise ist es immer noch so, dass die Ernten um Nimri etwas besser sind als im Rest des Landes."

"Hat sie denn geherrscht?"

"Inwiefern?"

"Du sagtest zu Zeiten ihrer Herrschaft. Hat sie denn geherrscht?"

"Genau weiß ich das nicht, Sohn." Darion rührte in seiner Schale herum; ob er nachdachte oder nur nach Worten suchte, war nicht genau zu sagen, jedenfalls nicht für Gavín. Aber er sprach dann doch.

"Sie hatte ein Reich. Lithrodil ist nun einmal keine Erfindung oder eine Geschichte, sondern ein echter Ort. Wir haben schließlich auch Yenur oder den Tempel vor Erdhawyrst, ihre Abbildungen und die Ausgrabungen. Aber ob und wie sie geherrscht hat, weiß ich nicht, das müsstest du entweder einen Priester oder einen Archäologen fragen. Oder einen Gelehrten, falls du einen findest."

"Das werde ich.", schmunzelte Gavín.

"Ja, sei dir mal nicht so sicher. Es ist immer noch die Frage, ob du aufgenommen wirst."

"Was? Woher weißt du..."

"Glaubst du, deine Mutter und ich unterhalten uns nicht?"

"Äh, nun doch, aber..."

"Du bist unser Sohn." Er spülte den Rest Grünkohl mit seinem Bier hinunter, legte sein Besteck in die Schale. "Natürlich reden wir auch über dich. Ich persönlich finde es schade, dass du kein Druide werden willst, aber wenn du junger Bursche lieber in die Fußstapfen deiner Schwester treten willst, warum auch nicht? Ich werde dir nicht davon abraten. Du musst wissen, was du machen willst und wenn du bei Trogh in die Lehre gehen willst, werde ich dich dabei unterstützen." Er zwinkerte. "Großvater würde dir sicher ein Liedchen dazu pfeifen."

"Großvater würde mir ein Liedchen pfeifen, wenn ich nur falsch den Kartoffelbrei umrühre."

Darion lachte, klopfte auf den Tisch. "Das ist wahr. Er hat mir einmal was erzählt, als ich das Messer in der falschen Hand hatte. Warum, weiß ich nicht mehr. Das hat fast eine Stunde gedauert, wie wichtig es doch sei, das Messer korrekt zu halten."

"Was heute für dich noch wichtiger ist.", warf Freyrín feixend dazwischen, lehnte sich an ihn, die Eicheln und Blätter in ihren geflochtenen Zöpfen auf der rechten Seite ihres Kopfes schwangen leicht mit, schmiegten sich genauso wie ihre Trägerin an den Mann, der nur einen Arm um sie legte.

Gavín ließ ihnen die Zeit und hoffte, dass sie ihre Zeit so nutzten, wie sie es wollten, bevor sie sich wieder trennen mussten. Leider war es so geworden und er erinnerte sich nur dunkel an die Streitgespräche, Diskussionen und manchmal sogar den lauten Krach, den beide verursacht hatten.

An die Tränen, an die Wut, die Hilflosigkeit und wie ihn seine Schwester in den Schlaf gesungen hatte. Auch sie schien damals mehr als nur betroffen davon gewesen zu sein.

"Ich gehe schon einmal zurück zum Wagen." Gavín rutschte von der Bank, umarmte seinen Vater ein letztes Mal. "Lasst euch Zeit, ich warte da."

"Aber sei vorsichtig.", erwiderte Freyrín, strich ihm über den Arm, bevor er das Geschirr zur Küche zurückbrachte, die im Grunde nur ein großes Zelt war mit Bottichen und Töpfen. Die Bänke und Tische waren draußen auf dem großen Platz aufgebaut worden, damit nicht bestehende Häuser umgebaut werden mussten.

Gavín lief durch die Straßen, machte sogar einen Umweg, um durch die Gärten der Kräuterkundigen zu laufen. Mit einer netten Dame sprach er sogar fast eine Stunde über ein paar Kräuter, die er so noch nicht gesehen hatte und bekam einen kleinen Beutel mit Samen geschenkt, nachdem er ihr erklärt hatte, dass er lernender Druide war. Dass er hoffentlich Archäologe werden wollte, verschwieg er ihr. Aber Druide war ein Beruf, den man nicht so einfach ablegen konnte. Das Wissen und die Handfertigkeiten waren schließlich immer noch da.

Und falls er nicht angenommen wurde oder aus irgendeinem Grunde die Universität verlassen musste, so konnte er immer noch Druide werden und seinem Handwerk nachgehen. Die Ausbildung hatte er fast abgeschlossen. Und ja, sogar ihm kam es dumm vor, so kurz vor Ende eine andere Richtung einzuschlagen, aber es war nicht alles verloren. Die Druiden, sogar der Rat, waren ein angenehm entspanntes Völkchen.

Lächelnd nahm Gavín den Weg zurück zum Wagen an der Praxis seines Vaters und setzte sich auf die Stufen. Er wollte sie nicht alle verlassen, es machte ihm Angst, aber wie hatte seine Mutter einmal gesagt: "Alles, was es wert ist, getan zu werden, kann einem Angst machen."

Also würde er tun, was er wollte und wenn es hieß, dass er sich dafür kaputtschuften musste. Das schwor er sich selbst auf den Anhänger von Lanialellara.

Kurz vor Mittag kamen seine Eltern zurück. Sie verabschiedeten sich, Freyrín und Darion mit einem beinahe melancholischen Kuss, falls Gavín die Blicke richtig deutete. Langsam zogen sie den Wagen aus dem schmalen Unterstand, schirrten Jorga an und machten sich auf den Weg. Zuerst Yenur, dann Erdhawyrst.

Gavín zeigte die Samen seiner Mutter, die er bekommen hatte und gab ihr die Hälfte ab. Offenbar konnte man aus dieser Pflanze eine Art magenberuhigenden Sud kochen oder die Pflanze trocknen und als heilenden Geruch im Kissen oder, in Kombination mit Gelbwurz, als langsam heilenden Verband verwenden für blaue Flecke oder kleinere Wunden.

Wieder etwas, was er verwenden würde. Breit lächelnd lehnte er sich auf dem Wagen zurück, hörte seine Mutter leise summen. Irgendwie würde er dieses Leben vermissen.

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